Beim Reglerentwurf durch Polvorgabe werden dem geschlossenen Regelkreis Wunscheigenwerte bzw. Wunschpolstellen vorgegeben und damit das Ein-Ausgangverhalten sowie die Eigenbewegungen des geschlossenen Systems gezielt beeinflusst.
Im Folgenden werden die 2 Entwurfsverfahren erläutert:
- Polvorgabe durch Zustandsrückführung
- Polvorgabe durch Ausgangsrückführung
Ein Reglerentwurf nach dem Verfahren der Polvorgabe durch Zustandsrückführung hat den Vorteil einer hohen Regelgüte, jedoch den Nachteil, dass alle Zustände der Regelstrecke messbar sein müssen. Dieses Problem kann mit einer Ausgangsrückführung umgangen werden. Hier besteht jedoch der Nachteil, dass die Freiheitsgrade zur Platzierung der Pole des geschlossenen Regelkreises erheblich eingeschränkt werden, wodurch sich die Regelgüte verschlechtert.
Bemerkung: Wird die Regelung um einen Zustandsbeobachter ergänzt, so können die Zustände der Regelstrecke auf Basis der Ein-und Ausgänge berechnet werden. Hierdurch werden Freiheitsgrade zurückgewonnen und so die Regelgüte im Vergleich zur Ausgangsrückführung verbessert. Der Zustandsbeobachter ist jedoch nicht Inhalt dieses Artikels.
Polvorgabe durch Zustandsrückführung
Der Reglerentwurf erfolgt auf Basis des linearen Zustandsraummodells der Regelstrecke:

In diesen Gleichungen bezeichnet u(t) die Eingangsgröße bzw. die Stellgröße im geschlossenen Regelkreis, y(t) den Ausgang der Regelstrecke und x(t) den Zustandsvektor. A ist die Systemmatrix, b der Eingangsvektor, cT der Ausgangsvektor und d der Durchgriff.
Das Zustandsraummodell (in Regelungsnormalform) einer Übertragungsfunktion der Form

kann sehr einfach durch Übernahme der Koeffizienten gewonnen werden [2]:

Voraussetzung für den Entwurf einer Zustandsrückführung durch Polvorgabe ist, dass das System bzw. die Regelstrecke vollständig steuerbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Determinante der Steuerbarkeitsmatrix SS

ungleich null ist:

Auslegung der Zustandsrückführung
Folgend soll ein Entwurfsverfahren einer Zustandsrückführung erläutert werden, wobei eine Zustandsrückführung kT gesucht wird, so dass die Eigenwerte des geschlossenen Regelkreises vordefinierte Werte annehmen:

Das Blockschaltbild des so erhaltenen geschossenen Regelkreises ist in Bild 1 abgebildet. Der obige Ausdruck für die Stellgröße u(t) setzt sich aus den zurückgeführten Zuständen x(t) sowie der mit einem Vorfilter gefilterten Führungsgröße w(t) zusammen. Das Vorfilter Fv kompensiert die aufgrund der statischen Rückführung resultierende Regeldifferenz [1][2]. Bei SiSo-Regelstrecken vereinfacht sich das Vorfilter zu einem skalaren Verstärkungsfaktor, der sich wie folgt berechnet:

Die Zustandsrückführung kT kann durch Berechnung der Systemmatrix des geschlossenen Regelkreises und anschließendem Vergleich der Eigenwerte mit dem charakteristischen Wunschpolynom hergeleitet werden [1]:

In dieser von Ackermann [3] entwickelten Formel sind āi die gewünschten Koeffizienten des charakteristischen Polynoms des geschlossenen Regelkreises und sRT ist die letzte Zeile der inversen Steuerbarkeitsmatrix.
Entwurfsschema – vollständige Zustandsrückführung
6 Schritte:
- Aufstellen der Zustandsraumdarstellung des zu regelnden Systems. Für die Ermittelung der Zustandsraumdarstellung in Regelungsnormalform aus Übertragungsfunktionen siehe oben.
- Berechnung der Steuerbarkeitsmatrix SS
- Prüfung des Systems auf vollständige Steuerbarkeit: det(SS≠0)
- Festlegen der gewünschten Eigenwerte āi (i=0..n) des geschlossenen Regelkreises
- Berechnung der Zustandsrückführung kT
- Berechnung des Vorfilters Fv zur Eliminierung der stationären Regeldifferenz
Bemerkung: Unter Berücksichtigung individueller Anforderungen an die Regelgüte ist zu empfehlen mehrere Rückführungen kT zu berechnen und dann im Rahmen einer Simulation zu validieren, so dass der geeignetste Kandidat für die endgültige Regelung ausgewählt werden kann.
Zustandsrückführung am Beispiel einer IT1-Regelstrecke
Anhand des obigen Entwurfsschemas soll der Reglerentwurf durch Polvorgabe am Beispiel einer IT1-Regelstrecke mit der folgenden Übertragungsfunktion durchgeführt werden:

Schritt 1:
Zunächst muss für die Übertragungsfunktion der Regelstrecke eine Zustandsraumdarstellung gefunden werden. Hierzu wird G(s) umgestellt und unter Annahme, dass alle Anfangswerte gleich null sind, in den Zeitbereich transformiert:

Auf Grundlage dieser nach der höchsten Ableitung umgestellten Differenzialgleichung werden die Zustandsvariablen x1(t) und x2(t) wie folgt ausgewählt:

Durch Einsetzen von x1(t) und x2(t) in die Differenzialgleichung ergibt sich die Zustandsraumdarstellung für G(s) wie folgt:

Schritt 2 & 3:
Die Steuerbarkeitsmatrix sowie deren Determinante kann auf Basis des ermittelten Zustandsraummodells berechnet werden:

Dementsprechend ist das System vollständig steuerbar, so dass mit Schritt 4 des Entwurfsschemas fortgefahren werden kann.
Schritt 4:
Der zur Eigenwert- bzw. Polplatzierung günstige Bereich wird in Bild 2 veranschaulicht. Hierzu ist zu sagen, dass grundsätzlich die Pole beliebig auf der linken s-Halbebenen platziert werden können; jedoch sollte eine Platzierung unter Berücksichtigung der Kriterien “limitierte Stellgröße”, “Dämpfung des geschlossenen Regelkreises” und “gewünschter Stabilitätsrand” erfolgen, so dass sich der abgebildete Bereich der günstigen Eigenwerte ergibt.
Unter Berücksichtigung der genannten Kriterien sollen die Eigenwerte bzw. Polstellen des geschlossenen Regelkreises wie folgt festgelegt werden:

Entsprechend kann die charakteristische Gleichung mit den gewünschten Koeffizienten āi aufgeschrieben werden:

Schritt 5:
Unter Verwendung der in Schritt 2 berechneten Steuerbarkeitsmatrix und den in Schritt 4 festgelegten Eigenwerten kann unter Verwendung der oben angegebenen Formel für kT die Zustandsrückführung berechnet werden:

Schritt 6:
Da es sich bei dem zu regelnden System um ein SiSo-System handelt, vereinfacht sich das Vorfilter Fv zu einer skalaren Verstärkung:

Simulation
Die in den Schritten 1 bis 6 ausgelegte Rückführung mit Vorfilter sollen mit Hilfe einer Simulation verifiziert werden. Dazu wird der geschlossene Regelkreis mit einem Führungssprung der Amplitude 1 angeregt.
Bild 3 zeigt die Regelgröße y(t) und Bild 4 zeigt die Stellgröße u(t) des geschlossenen Regelkreises.
Polvorgabe durch Ausgangsrückführung
Bei vielen technischen Systemen sind leider nur Ausgangsgrößen messbar, so dass die Zustandsgrößen nicht direkt zurückgeführt werden können. In diesem Fall bietet die Rückführung von lediglich der Ausgangsgröße eine alternative Möglichkeit zur Rückführung aller Zustandsgrößen.
Aufgrund der fehlenden Zustandsrückführung gehen jedoch Freiheitsgrade beim Reglerentwurf verloren, wodurch es möglich sein kann, dass Systeme durch eine Ausgangsrückführung nicht stabilisiert werden können. Hierzu gibt es keine allgemeingültige Aussage darüber, welche instabilen Regelstrecken durch eine Ausgangsrückführung stabilisierbar sind und welche nicht [1].
Auch können zwar alle Eigenwerte des geschlossenen Regelkreises mit Hilfe einer Ausgangsrückführung beeinflusst werden, jedoch ist eine zielgerichtete Festlegung der Eigenwerte nicht möglich. So ist es im Allgemeinen nicht möglich die Zustandsrückführung durch eine Ausgangsrückführung bei gleichem Regelverhalten zu ersetzen. Auch wenn ein gleichwertiger Ersatz der Zustandsrückführung durch eine Ausgangsrückführung nicht möglich ist, so kann dennoch die Zustandsrückführung bestmöglich approximiert werden. Eine möglichst optimale Ausgangsrückführung kann durch Minimierung eines Gütefunktionals [1] berechnet werden. Das Lösen dieses Optimierungsproblems führt zur gesuchten Rückführung:

Die Matrix V

enthält die Eigenvektoren vi des sich duch vollständige Zustandsrückführung ergebenden geschlossenen Regelkreises – also die Eigenvektoren von A-BkT. cT bezeichnet den Ausgangsvektor und W ist eine diagonale Wichtungsmatrix der Form:

Die Wichtungen wii müssen beim Entwurf festgelegt werden. Je höher ein Gewicht wii, desto genauer wird der entsprechende Eigenwert des Regelkreises an den der Zustandsrückführung angenähert.
Entwurfsschema – Ausgangsrückführung
- Berechnung der vollständigen Zustandsrückführung kT
- Berechnung der Matrix der Eigenvektoren V
- Festlegung der Wichtungen wii, so dass die den Regelkreis dominierend beeinflussenden Eigenwerte am stärksten gewichtet werden.
- Berechnung der Ausgangsrückführung ky
- Simulation der Eigenbewegungen des Regelkreises und Entscheidung, ob die Wichtungen zweckmäßig definiert wurden.
Der geschlossene Regelkreis mit Ausgangsrückführung ist in Bild 5 dargestellt.
Ausgangsrückführung am Beispiel der IT1-Regelstrecke
Im Folgenden soll eine Ausgangsrückführung für die oben genannte IT1-Strecke als Ersatz für eine vollständige Zustandsrückführung ermittelt werden.
Schritt 1:
Der Vektor kT zur vollständigen Zustandsrückführung wurde bereits oben berechnet:

Schritt 2:
Die Eigenvektoren der Matrix A-BkT werden berechnet und in V zusammengefasst:

Schritt 3:
Da es sich bei den beiden Eigenwerten um ein konjugiert komplexes Poolpaar handelt, beeinflussen beide Eigenwerte das Regelkreisverhalten gleichermaßen, so dass W wie folgt festgelegt wird:

Schritt 4:
Die Matrizen V und W werden in den Ausdruck für ky eingesetzt und die Ausgangsrückführung berechnet:

Schritt 5:
Dieser Schritt wird mit dem folgenden Abschnitt Simulation abgedeckt.
Simulation
Für die Simulation wird davon ausgegangen, dass die Anfangswerte der Zustände mit 0 angenommen werden können.
Die berechnete Ausgangsrückführung ky soll nun mit Hilfe einer Simulation verifiziert werden. Dazu wird der geschlossene Regelkreis mit einem Führungssprung der Amplitude 1 angeregt.
Bild 6 zeigt die resultierende Regelgröße y(t) und in Bild 7 ist die erforderliche Stellgröße u(t) dargestellt. Wird das Führungsverhalten aus Bild 6 mit dem bei vollständiger Zustandsrückführung in Bild 3 verglichen, so ist ersichtlich, dass ein deutlich höheres Überschwingen auftritt. Die schlechtere Regelgüte lässt sich dadurch erklären, dass die für den geschlossenen Regelkreis gewünschten Polstellen mit Hilfe der Ausgangsrückführung nicht ausreichend genau angenähert werden konnten. Die gewünschten Pole wurden bei s1/2= -1.5 ± j2 festgelegt; jedoch konnten lediglich die Pole an der Stelle s1/2= -0.5 ± j1.73 realisiert werden. Dies ist im Poldiagramm in Bild 8 dargestellt.
Im Gegensatz zur Lage der Pole bei vollständiger Zustandsrückführung weist der geschlossene Regelkreis eine geringere Dämpfung auf und dies resultiert in dem beobachteten höheren Überschwingen aus Bild 6.
Generelles Problem bei Regelungen durch Zustandsrückführung
Aufgrund der Struktur des geschlossenen Regelkreises wirken bei Zustandsregelungen Versorgungsstörungen wie Führungsgrößen und können deshalb nicht ausgeregelt werden. Zur Ausregelung von Versorgungsstörungen müssen Regelkreisstrukturen wie der Standardregelkreis gewählt werden.
[1]: Lunze, Jan: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme, Digitale Regelung, Springer-Verlag, 2008
[2]: Lutz, Holger und Wendt, Wolfgang: Taschenbuch der Regelungstechnik, Verlag Harri Deutsch, 2003
[3]: Ackermann, Jürgen: Robust Control, Springer-Verlag, 1993
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